Why? von Miriam

„Sie wollte sich umbringen!“ Diesen Satz höre ich die ganze Zeit in meinem Kopf. Kai hat das gesagt. Angeblich hat er Lauren mit einer offenen Pulsader in ihrem Zimmer gefunden. Überall war Blut. Ich weiss nicht genau, ob ich es ihm glauben soll. Lauren ist zwar seit einigen Tagen nicht mehr zur Schule gekommen, aber ich habe das Gefühl irgendetwas ist faul daran. Lauren ist meine beste Freundin. Kai ihr Bruder. Lauren geht mit mir in die letzte Klasse. Wir sind beide 16. Kai ist 18, er wird bald 19.

Heute Morgen wurde ich auf dem Schulweg fast überfahren. Ein schwarzer Lamborghini SUV kam so schnell um die Ecke, dass er fast nicht bremsen konnte. Ich konnte gerade noch zur Seite springen, als der Wagen in eine Wand fuhr und es krachte. In der Schule war Lauren natürlich Thema Nummer eins. War ja auch klar. Ich sprach mit niemandem darüber. Als ich wieder zuhause war, setzte ich mich an den Computer und schaute mir auf Youtube ein paar Videos an. Nach einer Stunde ging ich dann in die Küche und wollte mir etwas aus dem Kühlschrank nehmen. Dabei schaute ich aus dem Fenster und sah eine Person, die ihre Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Ich wusste nicht warum. Es war Hochsommer! Plötzlich stutzte ich. Die Person bewegte sich so, wie ich es nur bei jemandem kenne. Lauren! Ich öffnete schnell das Fenster und rief: „Lauren!“ Die Person hielt kurz an, schaute sich um und lief eilig davon. „Lauren, warte!“, rief ich ihr nach, doch es war zu spät. Sie war schon um die nächste Hausecke gebogen und war weg. Ich dachte nach. Was, wusste ich selbst auch nicht genau. Es hatte jedenfalls mit Lauren zu tun.

Am nächsten Morgen wachte ich um vier Uhr auf. Ich hatte irgendeinen komischen Traum gehabt mit Lauren, Kai, dem schwarzen SUV, von dem ich fast überfahren worden war und einer kleinen Hütte im Wald. Einzelne Bruchteile daraus kamen mir in den Sinn. Ich hörte Lauren schreien. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Dann sah ich einen Jungen, der aussah wie Kai, der mit einem Gegenstand in der Hand auf etwas einschlug. Den Gegenstand konnte ich nicht genau erkennen. Er war länglich und nicht allzu dünn. Auf einmal fing ich an zu schwitzen und mir wurde schlecht. Ich stand auf, ging runter ins Wohnzimmer, legte mich auf das Sofa und atmete tief durch. Zum Glück war Wochenende und ich musste nicht zur Schule. Ich schaute mich im Wohnzimmer um und mir kam alles so ruhig vor. War ja auch klar, ich war ja auch alleine zuhause. Ich war so müde, dass ich wieder einschlief bis um neun Uhr. Nach einem kleinen Frühstück schaltete ich den Fernseher ein und schaute mir die Nachrichten an. Als plötzlich ein Bild von Lauren und Kai auf dem Bildschirm auftauchte, war ich hellwach. „Seit gestern Abend werden das 16-jährige Mädchen und ihr 18-jähriger Bruder vermisst. Die Geschwister sind seit ca. 20 Uhr nicht mehr gesichtet worden. Das letzte Mal wurden sie kurz vor 20 Uhr zuhause gesehen. Der Aussage der Mutter nach melden die Kinder sich immer bei den Eltern, wenn sie rausgehen. Ihre Handys sind ausgeschalten und keine Nachrichten wurden hinterlassen. Wir bitten Sie, sich bei der Polizei zu melden, falls sie die Kinder sehen. Wir danken für jede Mithilfe“, sagte der Sprecher und ich eilte sofort zu meinem Handy und versuchte, Lauren zu erreichen. Nichts. Ich hatte keine Ahnung was ich machen sollte und überlegte, wann ich sie zuletzt gesehen hatte. Das war gestern gewesen, als ich etwas essen wollte und ich Lauren vorne auf der Strasse gesehen hatte. Ich hatte keine Ahnung, um welche Zeit das gewesen war. Auf einmal klingelte mein Handy. Schnell schaute ich auf den Bildschirm. Ich konnte kaum glauben, was da stand. Lauren. Etwas unsicher, aber auch geschockt und erfreut nahm ich den Anruf entgegen. „Lauren, was ist los?“, rief ich erleichtert, liess mich auf das Sofa fallen, als ich Laurens Stimme hörte. „Kai hat versucht mi…..“ Aufgelegt. „Hallo?“, fragte ich verängstigt, „Lauren?“ Keine Antwort. Ich war in diesem Moment so erstarrt, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich konnte ja einfach Laurens Handy orten. Sofort begann ich, ich war vollkommen zerstreut, so dass ich mehrmals falsch tippte. Mir wurde schlussendlich angezeigt, Laurens Handy befände sich irgendwo mitten in einem Wald, dessen Name ich noch nie gehört hatte. Und nun? Was sollte ich nun? Sollte ich dahin? Was war mit Lauren? Und was hatte sie mit: „Kai hat versucht mi….“ gemeint? Lauter Fragen strömten durch meinen Kopf. Ich bekam schon Kopfschmerzen vom Denken. Nach langem Überlegen kam ich zum Entschluss, mich auf den Weg zu diesem Wald zu machen.

Nach einer langen Zugreise kam ich in einem abgelegenen Örtchen irgendwo im Nirgendwo an. Ein Gefühl von Angst durchströmte mich. „Und jetzt?“, hörte ich eine leise Stimme in meinem Kopf. Ich lief einfach mal los. Keine Ahnung wohin. Als der Wald vor mir war, wollte ich irgendwie wieder nach Hause. Ich wusste nicht wieso. Ich kehrte um und wollte gerade gehen, als ich die Stimme von Lauren in meinem Kopf rufen hörte: „Nein, Charlene, geh nicht, ich brauche dich jetzt. Ich habe dich auch nie hängen lassen. Komm jetzt!“ Irgendwie machte mir das Angst, doch sie hatte Recht. Sie hatte mich auch nie hängen lassen. Also kehrte ich nochmal um und lief in den Wald. Ich lief immer weiter. Er kam mir so riesig vor, dass ich überhaupt nicht wusste, wohin ich überhaupt gehen sollte. Plötzlich ertönt hinter mir ein Knacken. Ich erstarrte. Langsam drehte ich mich um. Nichts. Ich hatte Angst. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Angst gehabt wie in diesem Moment. Ich redete mir ein: „Charlene, das warst wahrscheinlich nur du selbst.“ Innerlich lachte ich. Ich kam mir dämlich vor. Ich redete mit mir selbst. Das war nichts Alltägliches. Schon wieder musste ich lachen, obwohl mir nicht zum Lachen zumute war. Ich schaute mich um und ging zögernd weiter. Ich zuckte zusammen. Nochmals das Knacken. Schon wieder spürte ich diese Angst in mir. Das Gefühl beobachtet zu werden, belastete mich. „Hoffentlich nur ein Fuchs oder ein Reh“ dachte ich leise. Verängstigt schaute ich mich um. Nichts. Doch! Bildete ich mir das nur ein oder bewegte sich dieser Busch dort wirklich? Ich konnte mich ohnehin schon nicht konzentrieren, also rannte ich einfach los. Ich hatte immer noch das Gefühl beobachtet zu werden. Ich war noch nie so schnell gerannt wie jetzt. Ich hatte solche Angst. Anhalten um mich umzusehen wollte ich nicht, also rannte ich einfach weiter, bis ich nicht mehr konnte. Schwer schnaufend hielt ich inne und sah mich um.¬ Nichts. Ich sah genauer hin. Nichts. Ich ging noch etwa 10 Minuten weiter, bis ich auf einmal etwas Schwarzes sah. Ich konnte und wollte nicht glauben, was ich da sah. Der schwarze Lamborghini SUV, der mich fast überfahren hatte. Ich duckte mich. Das Auto stand neben einer kleinen, heruntergekommenen Hütte mit einem kleinen Fenster und einer alten Holztür. An der Hütte wuchsen an den meisten Orten Moos und irgendwelche Blumen empor. An der Tür hing ein Schloss. Das machte mir Angst. Waren Lauren und Kai darin? Ich traute mich nicht, nach ihnen zu rufen. Vielleicht waren die Entführer ja auch da. Was sollte ich jetzt tun? Mir wurde heiss, obwohl die Sonne nicht durch die hohen Bäume dringen konnte und hier Schatten war. Übelkeit drang in mir hoch. Ich schwitzte, doch irgendwie war mir auch kalt. Wie aus dem Nichts ertönte aus dem Inneren der alten Hütte ein lauter Schrei. Lauren. Ich spürte wie ich eine Gänsehaut bekam. Was war passiert? Sollte ich zur Hütte laufen und durch das Fenster sehen? Nein, ich traute mich nicht. Ich hörte ein Rumpeln, und sah wie sich die Tür mit einem Knarzen öffnete und Kai herauskam. Ich kam nicht nach mit Kombinieren. Was war los? Es sah nicht so aus, als ob Kai versuchte zu flüchten. Er holte etwas aus seiner Hosentasche. Ich glaube das waren Autoschlüssel. Ja, er ging ohne Zögern in Richtung Auto, öffnete es und stieg ein. Nach einer halben Minute fuhr er los.
Ich wartete noch ein paar Minuten, dann schlich ich langsam zur Hütte und zum kleinen Fenster. Ich musste mich richtig gross machen um etwas sehen zu können. Drinnen war es dunkel. Nach einiger Zeit gewöhnte ich mich dran und konnte etwas erkennen. Doch das was ich sah, wollte ich eigentlich gar nicht sehen. Lauren lag da. Sie bewegte sich nicht. Um sie herum war eine Pfütze. War das Wasser? Nein für Wasser war das zu dunkel. War das…Blut? Tränen schossen mir in die Augen. Ich rannte zur Tür. Mist! Sie war verschlossen. Was sollte ich nun tun. Ich hatte Angst. Wahrscheinlich hatte ich noch nie so sehr geweint wie in diesem Moment. Aber ich konnte einfach nicht anders. Ich überlegte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Kai Lauren umgebracht hatte. Aber wieso? Diese Frage liess mir keine Ruhe. Die Tränen liessen nach, doch sobald ich an Lauren denken musste und daran, dass sie tot war, fing ich wieder an zu heulen. Ich wusste nicht warum, aber einfach so rannte ich weg. Weg von hier. Ich wollte nicht mehr hier sein. Hoffentlich war das alles nur ein schlimmer Traum gewesen. Ich kniff mich in den Arm. Au! Mist! Das war kein Traum! Das einzige, was ich jetzt wollte, war, dass alles vorbei war…

…doch das ist es leider nicht.

Lade hier den Text als PDF herunter.