Ivy von Arisa

Ich wachte wegen einem Klopfen an meinem Fenster auf. Als ich genauer hinhörte, bemerkte ich, dass dieses Klopfen aus meinem Zimmer kam. Ich sah mich vorsichtig um und blickte in meinen Spiegel. Langsam bewegte sich dort was. Eine Gestalt. Sie hatte eine Menschenform. Dieses Geschöpf fing an zu lächeln und bewegte seine Hand auf mich zu. Erst kam die eine abgemagerte Hand mit langen Nägel aus dem Spiegel. Weiter der Arm, die Schulter, die ersten Anzeichen des Oberkörpers des Wesens. Alles Weitere zeigte sich später komplett. Eine Gestalt mit zwei Stofffetzen, einen Fetzen über der Brust, den anderen um die Hüften, stand vor meinem Bett. Das letzte was ich sah, war, wie mein Wecker auf 00:07 Uhr wechselte, als ich wieder zurück in mein Bett fiel.
Ich verspürte das leichte Steifen der langen, spitzen Nägel an meinem Arm. Es bewegte sich zu meiner Brust hinauf. Die Hand blieb bei meiner Brust stehen. Die langen, schwarzen Haare der Gestalt hingen über ihrem Gesicht, doch ich sah ihr Lächeln. Wenige, aber spitze Zähne zeigten sich. Panisch versuchte ich, mich wegzubewegen, doch ihre Nägel stachen in meine Brust. "Hallo Ivy, wie geht’s dir so?", sagte die heisere Stimme der Gestalt mit einem Lächeln, doch ich sah keine einzige Muskelbewegung an ihrem Mundwinkel. Langsam drückte die Gestalt ihre Nägel in meine Brust ein, mit der anderen Hand drückte sie meinen Hals so zu, dass ich noch so knapp Luft bekam, aber keinen Mucks rausbekam. Tränen flossen meine Wangen runter, ich konnte mir schon vorstellen, wie ihre Hand mein Herz fasste und es zerquetschen würde. Ich versuchte zu schreien, mich zu wehren, doch mit jeder Bewegung, die ich machte, wurde alles nur noch schlimmer. Ihre Hand, die Nägel in Blut getränkt, schnellte raus und drang in der nächsten Bewegung in meine Brust ein und ich spürte, wie sie mein Herz berührte. Nun konnte ich schreien. Ich schrie so laut ich konnte, doch niemand schien mich zu hören. Mein Oberkörper hob sich und ich sah, wie Blut auf mein Bett tropfte. Die Hand an meinem Hals drückte fester zusammen und hob mich auch dort hoch. Ich schwebte nun mit offenem Mund vor der Gestalt. Ruckartig riss sie mein Herz aus der Brust und liess mich fallen. Hustend und sterbend musste ich zusehen, wie die Gestalt mein Herz Stück für Stück ass. Ich schloss die Augen, denn ich wusste, dass mein Leben nun ein Ende fand. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich, dass mein Wecker erst 00:06 Uhr anzeigte. Nur ein Traum, dachte ich erleichtert und setzte mich schweissgebadet aufrecht auf meinem Bett hin. In der nächsten Minute hörte ich das komische Quietschen meiner Schranktür. Schnell stand ich auf und lief, so schnell ich konnte, aus meinem Zimmer, raus, raus auf die Strasse, raus aus meinem Elternhaus. Ich lief immer weiter, bis zu einer Sitzbank nahe der Strasse. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mich was verfolgte und ich drehte mich um. Dort sah ich die Gestalt auf der anderen Strassenseite stehen. Schnell stand sie hinter mir und drehte mich zu ihr um. Ich drehte mich von ihr weg, um davon zu laufen, doch auch dort stand sie. Sie packte mich, erwürgte mich wieder, drang wieder mit den Nägeln in meine Brust ein und fasste mein Herz. Genauso wie im Traum vor ein paar Minuten. Langsam quetschte sie mein Herz wieder und flüsterte: "So schnell kommst du mir nicht davon, Ivy." Der Schmerz war so echt, dass ich wieder versuchte zu schreien. Kein Ton, nur ein Würgen war von mir zu hören. Der Druck an meinem Hals wurde immer fester. "Du hast was Schlimmes getan, Ivy. Du hast mich und mein Leben zerstört. Mit einer Person." Sie drückte noch mehr. "Du sollst in der Hölle schmoren, Ivy Linn." Nun drückte sie so fest, bis ich schlaff in ihren Händen hing. Sie liess mich los und ich lag auf dem Boden. Milena. Milena Miller. Ein Mädchen, das Selbstmord begangen hatte, weil ich ihren Traumjungen erwischt hatte. Ich erkannte sie an den hellbraun leuchtenden Augen und ihren Gesichtszügen. "Milena", hauchte ich. Sie fasste mich wieder und riss mein Herz ein zweites Mal raus.

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