Hopeless von Jessica


Leise, es ist leise, zu leise, noch vor kurzer Zeit hatte man über dieser Stadt zu jeder Tageszeit und bei allen Wetterbedingungen mindestens hundert Menschen sehen können, doch nun, nicht einmal ein Jahr später, ist es menschenleer. Kerzen sind zu wertvoll, als dass man sie bei Regen verwenden würde. Das einst so helle Licht, das die Stadt hat leben lassen, ist der Finsternis gewichen und mit der Finsternis hat Hoffnungslosigkeit und Resignation Einzug gehalten.

Noch bevor der erste Monat mit den neuen Bedingungen vorüber gewesen war, hatte sich schon die Hälfte der Überlebenden das Leben genommen. Sie klagten, fragten sich wieso, doch niemand kam auf die Idee, dass es reiner Selbstschutz war, eine Weiterentwicklung der Natur, um die ihr schadenden Lebewesen loszuwerden, sie hatten sich selbst vernichten und die Erde mit sich in den Untergang, den Abgrund reissen wollen. Nun, Mutter Natur hatte die Notbremse gezogen und alles ihr Schadende war ausgerottet worden. Nur Wenige hatten überlebt, doch diese vermeidlich starken Lebewesen waren nur ein Zeugnis menschlicher Dummheit, denn anstatt sich zusammenzuschliessen und einander zu helfen, bekämpften sie sich, stritten um das wenige Essen, das noch zu brauchen war. Jene, die es geteilt hatten waren verhungert oder sie wurden einfach umgebracht und nach nicht mal einem Jahr stand es für die Menschen schlechter denn je, für eine Rasse die jahrelang die Oberhand gehabt hatte, sie war gestürzt worden durch einen kleinen Virus, durch etwas, dass sie nicht einmal hatten kommen sehen, keine Armee, keine noch so grosse Atombombe konnte es aufhalten, die Menschen hatten nie auch nur die geringste Chance gehabt. Zuerst blutete man aus der Nase, dann hatte man keine Kontrolle mehr über seinen Körper, in der Zeit des Ausbruches gab es so viele Amokläufer wie noch nie zuvor. Und dann starben sie, sie fielen einfach um, wie tote Bäume, und wachten nie wieder auf.

Über einer dunklen Gasse komme ich zum Stehen, dort unten liegt eine Gestalt, ein Mädchen, höchstens acht Jahre alt, es weint, hat Angst und das zurecht, denn über ihr hat sich ein grosser Mann aufgebaut. Ich sollte weitergehen, nicht hingucken und das Mädchen ihrem Schicksal überlassen, doch dann wäre ich genauso herzlos, wie der Mann dort unten und so sehr ich das auch will, ich kann es nicht, ich kann nicht einfach weitergehen in dem Wissen, dieses Mädchen sterben gelassen zu haben. Also springe ich in meiner grenzenlosen Dummheit die Fassade hinunter, direkt vor die Füsse des Riesen, ich sehe auf, in grüne Augen, und weiss, dass ich diese Aktion nicht überleben werde, denn in seinen Augen ist der Wahnsinn die dominierende Emotion. Der Typ vor mir lacht auf und ich weiche schnell zurück, derweil ertönen leise sich entfernende Schritte hinter mir, die Kleine rennt weg. Wenn ich ganz viel Glück habe, kann ich ihm vielleicht entkommen. Ich renne, renne und renne, nach nicht mal hundert Schritten ertönt lautes Poltern hinter mir. Er wird sich wahrscheinlich aus seiner Starre gelöst haben und wird mich verfolgen. Ich husche in ein leerstehendes Haus, in der Hoffnung mich dort verstecken zu können und sehe mich um, es ist ein altes Geschäft für Särge, das nenne ich mal Ironie des Schicksals. Ich schlüpfe in einen der leerstehenden Särge und warte, hoffe und bete, dass er mich nicht findet. Ich höre die sich nähernden Schritte und halte den Atem an, meine einzigen Gedanken sind: „Bitte, renn weiter!“, und gerade als ich denke, ich hätte gewonnen, wird vor mir der Deckel aufgerissen und ich sehe in ein paar mordlustige, giftgrüne Augen. Ich schreie, weiss, dass ich so gut wie tot bin, doch dann, wie aus dem nichts, rennt das Monster weg, als wäre der Wahrhaftige persönlich hinter ihm her. Verwundert sehe ich mich um, und vor mir steht das kleine Mädchen, doch es ist nicht mehr das kleine Mädchen, denn aus seiner Nase rinnt Blut, seine Augen haben jeglichen Glanz verloren und blicken mich mordlustig an. Sie ist infiziert. Und bevor ich schreien kann, spüre ich, wie sich kleine zierliche Finger, mit brutaler Stärke, um mein Herz schliessen, es mir aus der Brust reissen und ich in den Sarg zurückfalle, der meine letzte Ruhestätte werden soll.

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